Außenwerbung (be) trifft jeden

Es wird ja immer schlimmer und auch wenn die Nachrichten natürlich übertreiben, sollte man Sorge tragen. Dieser Tinnitus in den Ohren, alte Jingles zum Mitsingen aus den 90ern, der geht nicht mehr weg und nistet sich wie eine Raupe in die Muschel, spinnt die Gehörgänge zu, so dass man nur noch diesen alten McDonalds-Song hört und lernen muss, von den Lippen zu lesen.

Die Augen flimmern nun schon seit Jahren, das machen die ganzen großen Plakate (früher waren sie noch so klein, dass man lediglich gelegentlich Kopfschmerzen bekam und einem flackernde Sterne über die Wimpern fielen). Schließt man sie nun abends um zu schlafen und zu träumen, pranken einem werbepsychologisch optimierte Logos, elegante Schriftformatierungen und immer lachende Menschen entgegen, die sich dann auch in den Träumen wiederfinden und aus abstrakten und surrealen Wiederaufbereitungen des Tages sich immer wiederholende Bilderkinos von Getränkeherstellern drehen, so dass man gar keinen Durst mehr hat, wenn man aufsteht und so langsam ausdörrt, sich nur nach einem Traum aus Nichts, einer schwarzen Leinwand hinter den Lidern sehnt.

Seit nun auch die Tiere betroffen sind, haben sich wohltätige Organisationen gebildet, die klebrige Captchas aus den Gefiedern und Fellen kämmen, behutsam die Schnäbel halten, um sie von Popup-Fenstern zu befreien. Aber es werden immer mehr, die sich auf den Straßen in Restaurantflyern winden.

Und seit sie Content für sich entdeckt haben, winden sich die außenstehenden Werbemacher durch unsere Nasenhöhlen hinauf in unser Denken und verstecken dort gezielt Keywords zwischen alten Kindheitserinnerungen und dem Mittag bei Oma, damals in den Ferien, die Hände auf der Wachstischdecke und das schöne Geschirr mit dem weinroten Muster (die Suppe darin war doch sicher mit Liebe oder Knorr gemacht, eines von beiden, aber welches, das weiß man nicht mehr).

Wenn ich jetzt jemandem in die Augen sehe, den ich liebgewonnen habe, dann finde ich später am Tag sein Bild in meinem Facebook-Feed, mit einer Anzeige des Herstellers, der sein Hemd hergestellt hat. Und später in der Nacht, da flüstert mir ein deutscher Prominenter, der eigentlich gar keine veräußerte Werbung machen muss, diesen geliebten Namen dieses wunderbaren Menschen ins Ohr, dicht gefolgt von einer Kaufempfehlung für sein Aftershave, damit ich an ihn erinnert werde, wenn er mal nicht bei mir ist.

Die neue Unhöflichkeit

„Die Technologie sei Schuld“, so die Kolumnen auf der Frontseite der Lokalzeitung, „die Jugend ist abgelenkt von all diesen Smartphones, sie verpasse ja das Leben“, raunen Schnauzbärte auf dem Karneval, gefolgt von irgendeiner aus den Gräbern geholten Punchline und dem müden „Tata Tata“. All das Tweeten und die Fotos auf Konzerten, man sieht die Bühne gar nicht mehr vor lauter Displays, die mit Instagram-Filtern auch noch das gerade Erlebte verzerren, so dass es nicht einmal im Moment echt erscheint. In der Bahn lächelt man sich nicht mehr an, denn alle whatsappen mit Unbekannten aus dem Netz, dieser anonymen Wolke, die man mit dem Begriff „Online“ nur all zu gerne von der Realität abhebt. Aber dabei vergessen sie, wie es früher war, genauso schlimm nur anders, genauso fremdelnd nur physischer. Vergessen all die Ecken und Kanten der Bücher und Fotoalben, die einem in der engen Bahn bei einer Kurve blaue Flecke verpassten. Vergessen die Muskelkater, wenn man wieder einmal einem Touristen den schweren Atlas halten musste, um ihm den Weg zur Warschauer Straße zu zeigen. Vergessen die vielen Federn und all der Kot der Brieftauben, die auf Konzerten die Sicht nahmen und die Technik ruinierten, ganz zu Schweigen vom Lärm, den diese Tiere verursachen können, wenn sie einmal nicht den Ausgang aus dem finsteren Club fanden um Nachrichten wie „König Richard live #livingthedream“ an Freunde und Verwandte zu tragen. Und dann die gesprenkelten Verbrennungen und der Rauch in den Augen von all den Blitzlichtlampen und dem Magnesium (oder schlimmer, dem Blitzlichtpulver) der Kameras lange vor den Handy-Displays, man konnte kaum den Sonnenuntergang unter tränenden Augen sehen noch die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Das vergessen sie natürlich, wenn sie sich ablenken lassen von den hellen Displays im Dunkel des Kinos, von den konzentrierten Gesichtern in der Bahn (den Blick auf das Tablet gehaftet), von all den rempelnden Schultern der Twitterer auf der Straße. Das vergessen sie nur zu gerne.

Am Donnerstag, die Demo

(Erlebt am 25.9.2014)

Am Potsdamer Platz demonstrieren heute die Psychotherapeuten in grell orangen T-Shirts, denn wie die Farblehre dem Psychotherapeuten noch damals als rotwangigen Studenten riet, sei Orange eine Farbe der Energie und des Aufbruchs, des Aufbruchs der Gehälter, um genauer zu sein, denn die Honorare sollen steigen, so die durcheinandergewirbelten Parolen. Das Reden fällt allen so furchtbar schwer, die ja sonst nur zuhören und nicken, dass sie nun wirr aneinander und ineinander vorbeireden und dabei selbstgemachte Plakate in den Händen schwingen, die niemand lesen kann, da in den Praxen – wo sich vorher in Orangenschale geworfen wurde – nur noch Rohrschachtests übrig waren und nun die Parolen von Geschlechtsorganen, Dämonen und Dutzenden Schmetterlingen durchdrungen werden.

Und während ich mit gesenktem Kopf aus der Mittagspause hinaus und hinein ins Bürogebäude gehe, ducke ich mich, denn gerade haben einige Krawallhähne die bereitgestellten Polizisten entdeckt und bewerfen sie mit Narkotika und Aufputschmitteln und benetzten Zuckerstückchen, die an den schweren Uniformen abprallen und auf den Boden fallen und dann fängt es auch noch an zu regnen und der Zucker schmilzt, die Potsdamer Platz-ansäßigen Tauben fangen plötzlich an, ganz komisch zu gehen und dann zerlaufen auch noch die Rohrschachplakate und betröpfelte und bedröppelte Therapeuten sehen sich und die Enttäuschung ihrer Eltern in den aufgeweichten Parolen, die wie der Rücken des Vaters am Freitagabend aussehen, wie die Dauerwelle der Mutter, die niemals die Fußballspiele besuchte und Tanjas Pferdeschwanz mit Schleife, die Kuh, die doch im Feriencamp nicht knutschen wollte.

Und dann geht das Weinen los und wie von Zauberhand – ich schwöre, so geschah es, kurz bevor sich die automatische Tür zum Bürogebäude öffnete – werden die vor lauter Verzweiflung stürzenden Psychotherapeuten von weichen Chaiselongues aufgefangen, samtenen Kissen und goldenen Armlehnen, die im Regen glänzen. Und da liegen sie wie von den Männern der Renaissance gemalt, die zerknüllten Plakate – mißbilligende Eltern, abweisende Freunde und unfaire Vorgesetzte – in ihren zitternden Händen, die orangen Shirts fast rot, so durchnässt sind sie…

Neue Werbestrategien: Daniel Brühl wütet über mangelnde Polohemden-Verkäufe

Bild030Daniel Brühl ist so sauer, dass er einen damit zum Polohemdenkauf zwingen will. Und sieht man seinen eiskalten Blick der brodelnden Aggression, dann ist man sich schnell bewusst, dass jede Sekunde, die man ohne dieses Polohemd verbringt, dazu beiträgt, dass Daniel Brühl keine Oscar-Nominierungen erhält. Jeder, der nicht umgehend all sein Erspartes zusammenklaubt, aus der Matratze pult und aus dem Porzellanschwein schüttelt, der trägt dazu bei, dass er immer noch nicht in einem internationalen Film gecastet wird, der tatsächlich international zu einem Durchbruch führt und ihn endlich aus der Hölle der anspruchsvollen Produktionen und hinein in den Blockbuster-Himmel der verfilmten Brettspiele und Hasbro-Spielzeuge katapultiert. Aber solange niemand diese Polohemden kauft, hat er keine Chance und wehe dem, den Daniel Brühl dabei erwischt, wie er stattdessen im H&M-Ausverkauf massenproduzierte Baumwoll-T-Shirts über seine Unterarme stapelt und in der ellenlangen Schlange mit seinem Smartphone spielt. WEHE DEM!

Spaßnahme Tag 8

Für heute sind persönliche Heister-Evaluationen angedroht, ich als Spezialwurst werde sicherlich ganz besonders in die Mangel genommen. „Wir müssen nachher noch reden…“ meint er, wohl bedacht, meinen Namen nicht aus zu sprechen, weil er den wahrscheinlich immer noch nicht weiß. Wenn man wirklich gemein sein möchte, tut man einfach so, als würde man ihn nicht sehen und beobachtet aus den Augenwinkeln schmunzelnd, wie sich seine Gesichtszüge, die übrigens verblüffende Ähnlichkeit mit einer Schildkröte haben, langsam verkrampfen, im schier unmöglichen Versuch, sich die Namen in Erinnerung zu holen, die wir bereits dutzende Male auf dutzende Papiere gekritzelt haben. Stundenlang kann man den Kampf dann aus den Augenwinkeln betrachten, Lachen unmöglich, sonst fliegt man auf, aber wenn man durchhält, kann man es bestimmt solange schaffen, bis einer auf Toilette muss. Denn selbst in einem Geduldstest sollten echte Gentlemen die Toilettenpause des Gegners respektieren.
Ein persönliches Gespräch mit meinem Antagonisten ist natürlich eine spannende, aber zeitlich völlig unpassende Angelegenheit. Das Seminar geht doch noch drei Tage, da kann es heute unmöglich zum Showdown kommen, das ruiniert doch die Klimax und enttäuscht den Kinogänger, der daraufhin nur noch gelangweilt an seinem Popcorn nibbelt.
Herbert ist heute erstaunlich gut drauf, kein Wunder, der war gestern nicht da, ein Tag in der Freiheit und man gewöhnt sich das mädchenhafte Hüpfen wieder an. Aber keine Sorge, spätestens ab der Mittagspause wird der allgemeine Frust wieder unter seinen Zehennägeln stecken. Der Himmel über den Stadtwerken sieht im Übrigen ganz idyllisch aus, selbst wenn die Welt jetzt untergehen würde, würde ich mit einem Lächeln auf den Lippen in meinem eigenen Blut ertrinkend versinken, gekonnt verdrängend welch Probleme eigentlich in meinem Hinterkopf ihre Eier ausnisten.
Das Gespräch mit Heister kommt unerwartet früh, in unangenehm vertrauter Atmosphäre pflanzt er sich neben mich und überfällt mich mit noch unausgefüllten Fragebögen. Wie kann das denn sein, ich habe doch bereits Wochen damit verbracht, Fragebögen aus zu füllen, irgendwann muss der Irrsinn doch sein Ende haben! Das Gespräch dauert insgesamt 5 Minuten, „als was haben sie denn ihren Abschluss gemacht?“, „M.A.“ „Und was heißt das?“ „Master of Hartz“, haha, ich muss selbst ein bisschen über diesen gekonnten Wortwitz lachen und staunen, den hab ich nicht kommen sehen.
Zum Ende des Gesprächs eröffnet mir Heister, dass ich mich ja eigentlich gut beteiligt habe und ich mir keine Sorgen über die Evaluation machen muss. Na, das hab ich aber auch erwartet, anderthalb Wochen passiv-aggressive Sprüche vom Leder zu reißen ist Schwerstarbeit, ganz erschöpft falle ich jeden Abend ins Bett, heute beispielsweise ist es gerade mal halb Zehn in Deutschland und während andere ihren Knoppers verdrücken, fabriziere ich weltbewegende Wortwitze mit satirischem Flair! Da ist es ja wohl ganz natürlich, dass meine Evaluation gut aussehen wird. Dafür muss mir Heister dann auch nicht vertraulich auf die Schulter klopfen, nein, nein, Antipathie ist schon ohne Körperkontakt schwer genug zu ertragen. Und dann überrascht er mit einer nie zu erwartenden Frage. „Ich hoffe, ihnen hat es zumindest etwas gebracht, sie können auch gerne sagen, was ihnen nicht gefallen hat, ich bin immer offen für Kritk.“ Oh nein, oh nein, das geht doch jetzt nicht. Nicht nur, dass mein Erzrivale dieses zweiwöchigen Abenteuers wie ein kleiner Junge angekrochen kommt und um Zustimmung heischt, nein, jetzt muss ich auch noch abwägen, ob ich meine Frustration wie im Rucksack vergessene schimmelige Schulbrote heraus kramen soll, um das pelzig-schmierige Elend auf dem Tisch aus zu breiten, oder ob ich die letzten paar Tage lieber doch ohne dicken fetten Elefanten im Raum verbringen möchte. Und wer sagt, dass er offen für Kritik ist, knickt meistens bereits bei einer gerunzelten Stirn ein, weinend muss man dann auch noch Sozialarbeit leisten, damit hier keine Schicksale durch Stirnfalten ruiniert werden.
Ich wähle die subtile britische Methode. „Naja, als Kommunikationsstudentin war das ja alles ein wenig wiederholend für mich.“ „Ach, das war ja alles etwas langweilig für Sie.“ „Jaja.“ „Aber ich hoffe trotzdem, dass sie wenigstens etwas Spaß hatten?“ Ich halte mich bedeckt und grinse stumm und mysteriös vor mich hin, die größte Waffe, die jeder Ironiebegabte hat, das ironische Lächeln ist giftiger als eine Kobra, verschlingt alles, was sich ihm in den Weg stellt mit unausformulierter, daher universeller Kritik. Diese stummen Duelle zwischen Heister und mir arten langsam aus, wo soll das denn enden, bis jemand weint oder auf Toilette muss.

In der Mittagspause kommt es zu polizeistaatlichen Ausschreitungen im angehenden Citti. Direkt beim Eingang werde ich vom Teenie-Disse-Türsteher dazu aufgefordert, meinen Rucksack draußen zu lassen, da diese, sowie Taschen, höchst verboten sind auf dem Sicherheitsgelände des Citti-Centers. Im „Markt der Lebensfreude“, wie sich dieses Geschäft mit euphorisch geschwungenen LED-Anzeigen nennt, sind Taschen anscheinend verboten, weil die allgemeine Hausfrauenweisheit, dass Taschen die Lebensfreude stark dadurch mindern, das man niemals etwas in ihnen findet, bei Citti ernst genommen wird. Ungläubig stottere ich einer behandtaschten Frau hinterher, die ohne Probleme durch gelassen wurde. Das Schild am Eingang fordert zwar auch Taschenträger dazu auf, ihre stofflichen Aufbewahrungsbehälter in ein Glaskästchen vor dem Eingang zu lassen, aber der Türsteher meint mit kokettem Grinsen, dass nur Rucksackträger laut Geschäftsführung dazu aufgefordert werden müssen. Eine Schweinerei, hier wird doch eindeutig nach zweierlei Maßstäben gemessen, ich als radikale Alternative(die bekanntermaßen zu Rucksäcken neigen) bin natürlich dazu fähig, den gesamten Laden mit einer legeren Handbewegung leer zu räumen, während Hausfrauen mit zimmergroßen Handtaschen niemals auf die Idee kommen würden, die Zewa Wisch und Weg Tücher mal eben unbemerkt hinein fallen zu lassen. Dabei weiß man doch, dass besonders Handtaschen-Omis und gelangweilte Hausfrauen aus Kick gerne mal die Dose Katzenfutter oder den Stroh80 mitgehen lassen. In Strickkreisen werden die entwendeten Güter auf den Teetisch ausgebreitet und von lila Dauerwellen und blumigen Hemdkleidern bewundert, während kichernd über die inkompetenten Sicherheitsleute hergezogen wird, die stattdessen unschuldige – und zugegeben einfach nur bezaubernde – Absolventen mit Schlagstock und Wasserwerfern niederringen.

Empört weigere ich mich, das Etablissement zu betreten, glücklicherweise ziehen meine Kollegen nach, isolierter Protest nimmt sich immer so traurig aus, aber im markanten Vierergespann kann man schon Eindruck schinden und zum Currywurschtstand abziehen. Na wartet, wenn ich erst mal für die TAZ schreibe, dann wird es aber bitterböse Citti-Hetze geben. Schade, erst im Nachhinein fällt mir der tolle Spruch „das machen Sie doch nur, weil ich schwarz bin“ ein, Schlagfertigkeit ist eine Königsdisziplin und ich bin nur ein Prinz…

Kurz vor Feierabend bricht mitten im Gespräch über zukünftige Berufe Herberts Stuhl zusammen, der Zweite bereits, und splittert die Ecke voll. Bei uns in der Partyreihe hinten wird schallend gelacht, mir bleibt jedoch einerseits aus Schreck, andererseits durch Herberts Gesicht die Lachfalte in der Hautschicht stecken, denn wie aufgegeben sitzt er danach an seinem Computer und wirkt plötzlich – bitte nicht lachen – ganz klein. Das Leben ist schon hart genug als Vollgewichtler, da braucht es keinen Spott, um es noch härter zu machen.
Ein bisschen frage ich mich, wie sehr meine Doppelmoral sich eigentlich selbst aufhängt, immerhin habe ich scheinbar kein Problem, ausführlich über Herberts Äußeres zu philosophieren, benehme mich aber wie ein zickiges kleines Mädchen, wenn es darum geht, etwas Feierabend-erleichternden Slapstick zu belachen. Die Fantasieliste lass ich dieses Mal wieder im Rucksack, was die Fantasie-Jule heute gemacht hat, kann die Real-Jule ja wohl auch am realen Freitag hinschreiben und wenn das der Fantasie-Jule nicht passt, soll sie es doch selbst machen…

Spaßnahme Tag 7

Den siebten Tag starten wir ohne Zwergponys, in dem Raum, in dem alles begann. Angstschweiß perlt mir die Stirn herunter, immerhin habe ich hier das OZ-Debakel durchstehen müssen, noch heute wache ich schreiend auf, wahllos Rostocker Firmennamen in die Nacht rufend, so als wüssten sie, warum das alles, warum Hunger, warum Krankheiten, warum Kriege. Aber niemand hört meine Schreie nach den Rostocker Stadtwerken…niemand.

Doch dieses Mal ist alles anders, ein Platz in der letzten Reihe wird mir schon frei gehalten, die Stimmung ist gut, denn dieses Mal sind wir im Team. Wir beginnen zum tausendsten Mal mit Tipps zum Bewerben und der elendigen Frage „Wer bin ich?“ Die Reise ins Ich wollte ich nicht buchen, üblicherweise artet das in Hysterie und Angstzuständen aus, ohne Garantie auf Zahlungserstattung.

Es ist der Circle of Maßnahme, wahrscheinlich laufen intern geheime Wetten ab, wer ein und dieselben Tipps am Meisten wiederholt, ohne dass irgendein Kursteilnehmer die Nerven verliert und Amok läuft. Der Gewinner bekommt den goldenen Eulenspiegel für Dreistigkeit. Heister liegt weit vorne, denn nur bei ihm werden zwei inhaltlich identische Folien unmittelbar hintereinander gezeigt.

Danach dürfen wir ein furchtbar schlecht gespieltes, daher aber auch sehr amüsantes Bewerbungsvideo bestaunen, in dem Peter mit wechselndem Bart (mal mit, mal ohne) zusammen mit seinen Freunden auf Jobsuche ist. Neben seinem spontanen Bartwuchs zeichnet sich Peter durch ebenso spontan wechselnde Jacken und eine astreine 90er jahre Techno-Frisur aus (die mit dem Mittelscheitel). Von Peter und seinen Freunden lernen wir die kleinen Details, die man nur in hochqualifizierten Bewerbungstrainingsseminaren lernen kann. Beispielsweise kommt es nicht gut an, wenn man Nuttenstiefel und Minikleid zum Vorstellungsgespräch trägt. Naha, jetzt weiß ich auch, warum ich die Stelle beim Privatradio nicht bekommen habe, dabei dachte ich, dass etwas Glamör immer gut ankommt.

In den Schulpausen stehen Peter und seine Freunde in einer entlegenen Ecke, ein klares Zeichen , dass niemand etwas mit ihnen zu tun haben will, was kein Wunder ist, traue keinem Mann, äh, Jungen, dessen Flaumbart auf dem Weg zur Tür verschwindet  und dann wieder auftaucht. Lediglich Anna macht sich super bei ihrer Bewerbung, obwohl sie auch schuld daran ist, dass sich ihre Freundin wie ne Kiezkatze verkleidet hat und gnadenlos abgeprellt wurde. Das war sicherlich alles geplant, damit sie – ausgestattet mit einem guten Job – endlich aus diesem Loser-Freundeskreis entschwinden kann. Gut so, Anna!

Lehrreich ist das Video allemal, neben dem Vermeiden von Berufskleidung des ältesten Metiers der Welt,  sollte man sich nicht wie zuhause in den Stuhl fläzen, oder – ganz wichtig – kein Koks vor dem Gespräch nehmen. Na gut, das Letzte wurde nicht konkret gesagt, ist aber offensichtlich gewesen, da Peters Kumpel Eric  (bitte amerikanisch aussprechen, also  ungefähr so wie örig) größenwahnsinnig und leicht aggressiv über seine Ambitionen spricht, während er fahrig mit seinen Kokshänden durch die Gegend fuchtelt. So etwas nennt man Method Acting, während die anderen talentlosen H-Schauspieler sich müde mit ihren Texten abkämpfen, legt Örig so viel Gefühl hinein, dass man weinen muss. Dass er für die berührend, ehrliche Darstellung des koksenden Bewerbers den wagemutigen Schritt gegangen und in monatelanger Vorbereitung zum echten Junkie geworden ist, erkennt man sofort. Aber für Örigs Opfer, nun sein Leben lang als Stricherjunge seinen Unterhalt zu verdienen, nur weil er sich erhoffte, durch dieses Bewerbungsvideo seinen Durchbruch zu erlangen und deshalb alles, aber auch alles hinein gelegt hat, wissen wir nun wenigstens, dass man gefälligst nicht vor dem Vorstellungsgespräch koksen soll. DAS kann man doch auch machen, wenn man den Job dann endlich hat (Kallauer-Alarm!).

Im Anschluß machen wir einen Allgemeinwissenstest über Deutschland und Mecklenburg Vorpommern. Oh Gott, ich bin so schlecht im Allgemeinwissen, dass Günther Jauch mich niemals als Facebook-Friend adden würde. Aber ich brauch mir auch keine Sorgen machen, nach sechs Fragen schlagen wir in eine ellustere Diskussionsrunde zum Thema Ost/West-Konflikt um. Die Emotionen kochen hoch in derartigen Diskussionen, allerdings ist es doch etwas anderes, als im studentischen Umfeld, da manche Leute fehlenden Blickkontakt und direktionslosen Bezug auf einen bestimmten Kommentar missverstehen und sich angesprochen fühlen, selbst wenn man sich eindeutig an jemand anderen gewendet hat. Das ist fast so, als würde man Windmühlen bekämpfen, um plötzlich blöd von Windrädern angemacht zu werden.

Das nächste Thema im Brennpunkt: Bildungspolitik. Jaja, auch das ist interessant, denn wenn es um Allgemeinwissen geht, habe ich eh ein gespaltenes Verhältnis dazu. Zumindest denke ich nicht, dass es zum Allgemeinwissen gehört, zu wissen, welche Firmen es in Rostock gibt…….Punkt, punkt, punkt. Aber gut, mit dem Mann, der meint, dass er seine Bildung durch Zoosendungen erfährt, sollte man vielleicht nicht diskutieren. Außerdem ist jetzt endlich das Geheimnis gelöst, warum wir das OZ Spezial über uns ergehen lassen mussten. Weder ein psychologisches Experiment, noch ein sadistischer Zug Heisters, stattdessen der Wunsch, uns etwas mecklenburgisches Allgemeinwissen an zu lernen. Ich könnte eher mit den beiden Alternativen leben, Christliche Missionare sind schon schlimm genug, aber Missionare, die die gute Kunde des Rostocker Arbeitsmarktes verbreiten? Irgendetwas daran ist zutiefst verstören.

Zurück im Zwergponypool dürfen wir uns endlich wieder von den tränenreichen Auseinandersetzungen abwenden und ich kann mich auf meine höchst notwendige Wohnungssuche begeben. Jeden Tag höre ich etwas anderes, ein Spruch nach dem Anderen darüber, wie schwierig, wie leicht, wie viele, wie wenige, wie teuer, wie billig und und und. Allerdings hab ich meine Stasiakte mittlerweile zusammen und kann hausieren gehen. Seh ich ja gar nicht ein, dass ich nach Bärlin fahre, mir wunderschicke Wohnungen ansehe und dann beim Vermieter abgeblockt werde, weil ich nicht angegeben habe, wie laut meine Sprechstimme ist und ob ich unter der Dusche singe und wenn, wie gut. Kaum hat man die Bewerbung für einen Job hinter sich, geht die Bewerbung für eine Wohnung los, genauso hilflos schreibt man eine Mail nach der anderen und wartet mit bangendem Herzen. Das Wohnungsbewerbungstraining könnte ich ganz gut gebrauchen.

Der Tag vergeht nicht schnell, aber wie üblich mit dem Diktieren der Fantasieliste. Heute haben die Fantasieteilnehmer beispielsweise etwas über aktuelle Standards zu schriftlichen Bewerbungsunterlagen und dem Bewerbungsmanagement (kurz BewerbungsMGMT) gelernt. Ein Traum, mit diesen theoretischen Voraussetzungen kriegen die bestimmt sofort den Fantasiejob ihrer Wahl.