Die neue Unhöflichkeit

„Die Technologie sei Schuld“, so die Kolumnen auf der Frontseite der Lokalzeitung, „die Jugend ist abgelenkt von all diesen Smartphones, sie verpasse ja das Leben“, raunen Schnauzbärte auf dem Karneval, gefolgt von irgendeiner aus den Gräbern geholten Punchline und dem müden „Tata Tata“. All das Tweeten und die Fotos auf Konzerten, man sieht die Bühne gar nicht mehr vor lauter Displays, die mit Instagram-Filtern auch noch das gerade Erlebte verzerren, so dass es nicht einmal im Moment echt erscheint. In der Bahn lächelt man sich nicht mehr an, denn alle whatsappen mit Unbekannten aus dem Netz, dieser anonymen Wolke, die man mit dem Begriff „Online“ nur all zu gerne von der Realität abhebt. Aber dabei vergessen sie, wie es früher war, genauso schlimm nur anders, genauso fremdelnd nur physischer. Vergessen all die Ecken und Kanten der Bücher und Fotoalben, die einem in der engen Bahn bei einer Kurve blaue Flecke verpassten. Vergessen die Muskelkater, wenn man wieder einmal einem Touristen den schweren Atlas halten musste, um ihm den Weg zur Warschauer Straße zu zeigen. Vergessen die vielen Federn und all der Kot der Brieftauben, die auf Konzerten die Sicht nahmen und die Technik ruinierten, ganz zu Schweigen vom Lärm, den diese Tiere verursachen können, wenn sie einmal nicht den Ausgang aus dem finsteren Club fanden um Nachrichten wie „König Richard live #livingthedream“ an Freunde und Verwandte zu tragen. Und dann die gesprenkelten Verbrennungen und der Rauch in den Augen von all den Blitzlichtlampen und dem Magnesium (oder schlimmer, dem Blitzlichtpulver) der Kameras lange vor den Handy-Displays, man konnte kaum den Sonnenuntergang unter tränenden Augen sehen noch die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Das vergessen sie natürlich, wenn sie sich ablenken lassen von den hellen Displays im Dunkel des Kinos, von den konzentrierten Gesichtern in der Bahn (den Blick auf das Tablet gehaftet), von all den rempelnden Schultern der Twitterer auf der Straße. Das vergessen sie nur zu gerne.